In Görlitz hat alles begonnen, in Görlitz soll es enden. Nachdem ich 3 Wochen durch den Landkreis Görlitz gefahren bin, geht heute meine Blogger-Tour durchs #Unbezahlbarland hier zu Ende. Es ist ein bisschen wie mit der Liebe. Warum fällt sie irgendwo hin und woanders nicht? Es ist und bleibt ein Mysterium. Mein Herz gehört Görlitz. Es war Liebe auf den ersten Blick aber auch beim zweiten oder dritten Hinschauen – ich bleibe Fan dieser Stadt.
Das soll nicht missverstanden werden, denn ich habe in 3 Wochen Oberlausitz ausschließlich positive Erfahrungen mit der ganzen Region gemacht. Na, obwohl eine kleine Ausnahme gab es: einen Strafzettel der Polizei Görlitz. Wenn meine 50 € Strafe dem Strukturwandel hilft, dann bitte gerne.
Die Rückmeldung der Oberlausitzer war überragend. Ich habe Macher kennengelernt, Unternehmer die verändern wollen, die Weite der Natur, staufreies Fahren, viele Badeseen und extrem offene Menschen. Die Menschen haben mich am meisten überrascht. Unverstellt mit offenem Visier. Ungefragt habe ich Familiengeschichten erzählt bekommen, bin auf Grillabende und Geburtstagspartys eingeladen worden und hatte nie den Eindruck ein Fremder zu sein.
Ich habe mich an „Nu!“ und „Fetzt!“ gewöhnt und war immer wieder erstaunt darüber, wie direkt Menschen von sich und ihrem Leben erzählen. Das ist es, was mich mit am meisten begeistert hat. Hier leben Menschen, die sehr genau wissen, was die Landschaft kann und was die Vorzüge der Region sind.
Ich könnte mir vorstellen, dass das auch viel mit dem Schock der Wende zu tun hat. Sehr oft habe ich den Satz gehört: „Meine Eltern waren mit der Wende von heute auf morgen arbeitslos.“ Das hat die nächste Oberlausitz Generation mitgeprägt. Eine Generation, die weiß wie sich Verlust und Ohnmacht anfühlen und die daraus eine unglaubliche Energie entwickelt hat. Eine Power, die diese Region nach vorne spülen kann.
Aus diesem Grund sehe ich auch durchaus optimistisch in die Zukunft des Standortes. Platt ausgedrückt: der Westen ist satt, der Osten ist hungrig. Hier hat es Platz, viel Raum für Neues. Das ist eine riesige Chance. Die Zentrale im Dreiländereck, das Herz von Europa. Das größte Kapital sind die jungen Menschen und viele sagen: „Wir sind hier aufgewachsen, in die Welt gezogen und kommen jetzt wieder zurück!“
Der Strukturwandel ist ein großes Wort, welcher viel beinhaltet. Ausstieg aus dem Kohleabbau, Mangel an jungen qualifizierten Arbeitskräften, eine alternde Gesellschaft und die Transformation von der Industrialisierung zur Digitalisierung. Das ist kein exklusives Problem der Niederschlesischen Lausitz, das gilt bundesweit.
Meine Heimat Stuttgart hängt von Mercedes-Benz, Porsche oder Bosch und deren Zulieferern ab. Aber bloß weil das Automobil in Stuttgart erfunden wurde, heißt das noch lange nicht, dass die Schwaben das Patentrecht auf den Autobau der Zukunft haben. Was wenn das Auto von morgen künftig von Tesla, Google & Co. gebaut wird? Was wenn der Stellenwert des Automobils weiter sinkt? Ich möchte damit sagen, die Veränderung, die in der Oberlausitz jetzt stattfindet, steht anderen Regionen vermutlich noch bevor.
Die Oberlausitz hat das längst begriffen. Hier gibt es die Pötzschs, die Jakschiks, die Kratzschs oder die Winneknechts, um nur ein paar zu nennen, die sich bewusst für die Region entschieden haben. Unternehmertypen, die anpacken. Der Weg wird sicher kein leichter sein, aber wenn keiner den Anfang macht, wird sich nichts verändern.
Dazu gehört auch Demut und Wertschätzung. Beeindruckend war die Lebensgeschichte von Ejad Al Hajabd, der als Hochzeitsschneider ein florierendes Geschäft in Damaskus hatte. Dann 2015 fliehen muss, alles verliert, in Rekordzeit Deutsch lernt und mit 4 Kindern ein neues Leben beginnt. Er näht heute Zelte bei DWT. Handwerklich kann dieser Mann bestimmt viel mehr, aber er macht es hingebungsvoll und voller Dankbarkeit. Genauso beeindruckt war ich vom OB von Weißwasser, Torsten Pötzsch. Ein sanftmütiger Löwe, der um seine Heimat kämpft. Nirgendswo auf der Tour ist mir das Thema „Strukturwandel“ derart brutal vor Augen geführt und damit bewusst geworden.
So drehe ich eine letzte Runde auf dem Doppeldecker „Görliwood Entdecker“ durch „mein“ Görlitz. Ich beobachte andere Touristen, wie sie Fotos machen. Ich mache schon lange keine Fotos mehr, ich habe das Gefühl diese Stadt zu kennen. Ihr Kopfsteinpflaster, ihre kleinen Gassen, die großen Plätze und die vielen Drehorte der Hollywoodproduktionen. Als ich kam war die Oberlausitz mein blinder Fleck auf der Deutschlandkarte. Der ist jetzt weg. Ich werde die Region im Auge behalten. Im Herzen trage ich sie jetzt ohnehin.