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Tag 11: ENO

2021 06 18 ENO Titel und Beitrag

Die Entwicklungsgesellschaft Niederschlesische Oberlausitz, kurz ENO. Selten hat eine Abkürzung mehr Berechtigung gehabt. Ich laufe auf ein, für Görlitzer Verhältnisse, relativ unscheinbares Gebäude zu.  Ein typisches Bürogebäude, denke ich bei mir und trete in den großzügigen Eingangsbereich mit den entsprechenden Erwartungen, also keiner mehr. 

Was dann passiert, nenne ich das „Görlitzer Phänomen“. Durch zwei Glastüren trete ich wie in eine Kathedrale, nein, in eine altehrwürdige Bibliothek. Es fehlen nur die Bücher. Durch die hohe Glaskuppel fällt Licht. Es ist einfach nur beeindruckend. Statt schmucklosem Büro stehe ich in dem ehemaligen Gebäude der Sparkasse aus dem 19. Jahrhundert. Der kleine angrenzende Besprechungsraum ist der ehemalige Tresor. Ich denke mitleidig an mein schmuckloses, graues Büro in einem Stuttgarter Industriegebiet über dem Billig Discounter mit Blick auf einen schmierigen Beate Uhse Laden. Das hier ist absolute Champions League, ein Sahne-Objekt. 

Natürlich steht auch hier alles unter Denkmalschutz, alles andere wäre für Görlitz ja quasi nicht mehr standesgemäß. An vielen kleinen Büroinseln sitzen die ENO-KollegInnen, wie in einem gigantischen Open Space Office.  Ob es die Imposanz des mondänen Raumes ist?  Es herrscht große Stille, man wagt kaum zu atmen. Ich flüstere ENO –Redakteur Chris fragend zu: „Sag mal, siehst du das hier überhaupt noch? Wie geil ist das als Büro, bitte schön?!“ Mein Kollege Chris ist sicher ein Mann des Wortes, aber seine Antwort ist kurz, knapp und sagt alles über die selbstbewusste Eigenwahrnehmung einer ganzen Region: „Nu!“ (Anmerkung: Nu = Ja auf „Oberlausitzisch“)

 Mein Blick schweift über die Belegschaft, überdurchschnittlich viele junge KollegInnen. Ich würde mich hier auch wohlfühlen und werde im gleichen Moment fast von Luna, dem Hund des Chefs umgerannt.  „Luna ist ein bisschen Bluna im Kopf, wir haben sie von einer Züchterin, nachdem drei Vermittlungsversuche schon gescheitert waren.“  entschuldigt sich Sven Mimus, Geschäftsführer der ENO und bittet mich in sein Büro. 

Ich schaue in sein jung gebliebenes Gesicht und  rechne zurück. Mit gerade einmal 25 Jahren hat er 2005 als Geschäftsführer bei der ENO angefangen. Trotz seiner jugendlichen Ausstrahlung schwingt Autorität mit. „Eigentlich wollte ich nach ein paar Jahren was anderes machen, so war mein Plan“ erzählt er offen und unprätentiös. „Aber wissen Sie was? Ich habe ein Haus, zwei Kinder mit der tollsten Frau der Welt, einen Hund und ich bin total zufrieden mit meinem Job“.  Eigentlich hätte ich an dieser Stelle, meinen Block zuklappen und das Gespräch beenden können. Damit ist letztlich alles gesagt. 

„Das Wichtigste ist die Gesundheit und die Familie. Wenn da was im Argen liegt, kann ich auf der Arbeit auch nicht funktionieren.“ setzt er mich weiter schachmatt. „Wir haben hier ein Riesenpotential im Ballungsraum mit Polen und Tschechien. Wir haben derzeit so viel finanzielle Unterstützung wie nie zuvor, auch aus Brüssel, um uns auf lange Sicht davon unabhängig zu machen.“ Ich höre nickend zu, würde ich auch alles so unterschreiben. 

Uneitel, unaufgeregt und frisch von der Leber weg erzählt Sven Mimus über sich, den Job, seinen Alltag. Ein Chef, wie ihn man sich wünscht. Ob ich das alte Auto-Kennzeichen NOL schon mal gesehen hätte, fragt er mich. „NOL, kurz für Natur ohne Leute“ beantwortet er sich seine rhetorische Frage selber. Das ist es, was er den ewig Gestrigen immer sage. Man sollte jetzt nach vorne blicken, jetzt die Chance nutzen. Die Firma Blaupunkt sei eine Blaupause für den Strukturwandel. Früher haben die Autoradios gebaut, heute bauen sie E-Ladesäulen und florieren wieder. 

Die Region ist dabei sich neu zu erfinden, und das muss sie auch. Die ENO, als Bindeglied zwischen Unternehmen, Finanzierung und Politik hat diese Dynamik längst begriffen. Rund 10 neue KollegInnen haben erst kürzlich ihren neuen Job angetreten. Einziges Manko: im historischen Bankgebäude ist kein Tisch mehr frei. Die neuen KollegInnen sitzen woanders. Man kann auch im „Unbezahlbarland“ nicht alles haben. 

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