Tag 12: Wakeboarden Halbendorfer See
Der Strukturwandel bietet immer auch eine Chance. Die ehemalige Kohleabbaugrube Trebendorfer Felder von 1949 ist heute ein Wakeboard- & Badeparadies. Es gibt nicht viele solcher Anlagen in Deutschland. Die Kennzeichen der PKW auf dem Parkplatz zeigen, hier kommen viele aus dem Umland. Berlin, Dresden, Cottbus.
Wasserskifahren war Generation Brigitte Bardot. Location St. Tropez. Wakeboarden ist Generation Z. Location: Baugrube. Auf der zum Wasser ausgerichteten Restaurantterrasse lümmeln sich schwer tätowierte Mittdreißiger mit dicken Sonnenbrillen auf den Chill-out Sofas. Junge Dorfschönheiten nuckeln gelangweilt an ihren Drinks und bewegen sich nur zum Wenden beim Bräunen.
Die gesamte Terrasse ist zum See hin ausgerichtet. Der Startplatz der Schleppanlage liegt direkt davor. Es ist eine Showbühne. Die Anlage surrt, es klatscht, ein junger Wakeboarder wirbelt gekonnt durch die Luft, landet lässig, verteilt ordentlich „Spray“ und fährt weiter. Wohlwissend, dass alle Augen der Terrasse seinen „Move“ mitbekommen haben. Die bewunderten „Ohhhs! Ahhhhs! Wows!“ von der Terrasse kommen natürlich nicht von Cool & the Gang auf den Chill-out Sofas. Nur Anfänger und Touristen zeigen sich beeindruckt. Der Rest vom Fest bewahrt Pokerface und verzieht keine Miene.
Ich stapfe zum Wakeboard-Verleih und frage nach dem Chef. Andre kommt, mustert mich einmal kurz von oben bis unten und begrüßt mich mit den Worten: „ Anfängerkurs gebucht?“ Er beißt in sein Fischbrötchen. Die Soße läuft seinen Vollbart runter. Zum 1. Mal ist mir ein Oberlausitzer nicht auf Anhieb sympathisch. Ich spüre eine leichte Anspannung in mir. Doch der Typ ist Schwergewichtsklasse. „Nein, ich will es einfach nur mal probieren. Mehr nicht.“ antworte ich.
Er scheint nicht überzeugt: „Naja, ich will ja, dass du ein Erfolgserlebnis hast. Wie du meinst. Gib ihm mal Helm, Weste und Easy-up Wakeboard“ sagt Andre zu einer Mitarbeitenden und verschwindet in der Masse. Die junge Dame zeigt mir die Ausrüstung und brüllt über das gesamte Sonnendeck zu Carlos rüber. Carlos, ist der „Hebler“ im Starthäuschen. Also, derjenige, der Griff samt Leine einklickt bzw. ein hebelt und damit die Fahrt auf dem Wasser startet. „Carlos, der hier ist Anfänger. Erklärst du es ihm?!“
Na, herzlichen Dank. Jetzt weiß es die gesamte Anlage. Hier kommt das Greenhorn. Sogar die gelangweilten Dorfschönheiten heben den Blick. Überhaupt scheint hier jeder jeden zu kennen.
Eine Clique junger Wilder wartet grinsend auf meinen Start. Ich frage Carlos, der vom Alter her locker mein Sohn sein könnte: „Was muss ich beachten?“ „Den Griff eng und kompakt am Körper, wenn es dich rauszieht. Dann Arme strecken und locker auf dem Board stehen bleiben.“ Ich beobachte, wie meine Leine sich einrastet, auf Zug geht und mich von der Startbank rauskatapultiert. Ich fahre ein paar Meter, ein paar der jungen Wilden pfeifen bereits anerkennend, dann zerlegt es mich.
Aber das Eis zwischen der beobachtenden Terrasse und mir ist gebrochen. „Hey, beim nächsten Mal nicht so steif in den Beinen bleiben, dann hast du es“ gibt mir einer der jungen Wilden den wohlmeinenden Tipp. Start Nr. 2. „Kommt!“ brüllt Hebler Carlos, meine Leine geht auf Zug, Gewicht nach hinten, schnell aufrichten, Arme strecken, locker in den Beinen. Ich gleite übers Wasser. Aufmunternde Rufe der jungen Wilden. Ich stehe und fahre. Ich bin total fasziniert, wie schnell ich übers Wasser düse. Kurve 1. Ich stehe noch immer. Kurve 2. Ich bleibe immer noch stehen. Kurve 3 & 4 ist eine Art Doppelkurve. Ich sehe es und bereite mich vor, man wird aufgrund des engen Radius durch Kurve 4 mehr geschleudert, als gezogen. Es ist wie eine Zwille, das Seil geht auf Maximal-Spannung und entlädt sich explosiv. Ich beobachte Läufer und Zugseil über mir, der Speed durch die Kurve ist ein einziger Rausch. Ich stehe noch immer. Kurve Nr. 5 vor der Terrasse ist dann nur noch Formsache. Nach 4 Runden brennen meine Hände. Es ist anstrengender als ich dachte.
Bis zu 10 Wakeboarder hängen auf diesem Wasser-Karree am Schleppseil. Die Anlage kann bis 60 km/h schnell fahren, was eine irre Geschwindigkeit auf dem Wasser ist. An normalen Tagen läuft sie mit 30 km/h, das kann beim Aufprall auch schon schmerzen. Verschiedene Rails und Kicker sind auf der Bahn verteilt, für diejenigen die sich trauen oder wollen. Nach 2 Stunden mit diversen Runden auf der Bahn bin ich ausgepowert.
Zufrieden gebe ich mein Leihequipment ab und setze mich zu Andre, der an einem der Tische ebenfalls Pause macht. Er sieht auch geschafft aus. Die Sommertage sind Großkampftage auf der Anlage. „Und wie lief es?“ fragt er mich. „War ganz ok“ stapele ich tief. Ich habe meinen Frieden mit ihm gemacht. „Ich habe früher Scheinwerfer verkauft“ offenbart er mir. „Nebenbei habe ich hier am See eine kleine Bar betrieben, die Idee mit der Wakeboard-Anlage gehabt, Investoren gesucht und dann einfach gemacht. Meinen ersten Kurs habe ich gegeben, da konnte ich Kurve 4 noch nicht mal selber fahren.“
Unsere erste Begegnung mag mir etwas schräg eingefahren sein, aber jetzt habe ich großen Respekt vor seinem Lebenswerk. Wieder so ein Macher. „Der Tourismus ist im Zuge des Strukturwandels fast unsere einzige Chance in der Region“ ist er sich sicher und erzählt mir ungefragt von seinen weiteren Plänen. Menschen mit Visionen, die sie dann auch umsetzen, haben eine magische Energie. Unternehmertypen sind ein bisschen wie Kurve 4. Man weiß es wird nicht leicht, aber mit Vertrauen, Mut, Können und etwas Glück kann alles gelingen.